
Bild: Hermann Rorschach, Quelle: wikimedia commons, Public Domain
Der Nahostkonflikt und der Sog der Polarisierung

Der Nahostkonflikt zeigt besonders deutlich das Bedürfnis der Menschen, eine Seite zu wählen und zu idealisieren. Es ist so bescheuert wie menschlich. Es ist nämlich absolut unerträglich, sich vorzustellen, dass es Kinder gibt, die verhungern. Oder Geiseln, die gefoltert und gedemütigt werden und ebenfalls verhungern. Oder Kinder, denen Raketen auf den Kopf fallen. Wenn all das jemanden kaltlässt, ist derjenige entweder ein Psychopath oder geschickt darin, Gedanken zu verdrängen. Und ein gewisses Maß an Verdrängung ist unvermeidlich, wenn man nicht verzweifeln will. Es kostet Kraft, sich dieser Verdrängung immer wieder bewusst zu werden, sich Zeit zu nehmen, die unerträglichen Inhalte dann doch wahrzunehmen, die eigene Ohnmacht und Unsicherheit einzugestehen. Einfach Traurigkeit zuzulassen. Wer diese Kraft nicht aufwendet, diese Zeit nicht investiert, hat als Alternative nur die Spirale zunehmender Ideologisierung zur Verfügung. Das Elend geht nicht weg, die Wahrheit lauert immer lauter, deswegen muss immer mehr Energie aufgebracht werden, um den Blick davon abzulenken, die Ohren zu verschließen.
Immer mehr Aufmerksamkeit muss dem Feind geschenkt werden – Projektion. Immer mehr müssen die Kollateralschäden versachlicht werden – Rationalisierung. Immer mehr müssen die Bilder in Frage gestellt werden – Verleugnung.
Dies beobachte ich “auf beiden Seiten”. Und auch das kostet Kraft: Sich nicht auf ein “beide Seiten” zurückzuziehen, nicht einfach sicherheitshalber im Unbestimmten zu bleiben, nicht bei jeder Frage zu sagen: Da bin ich leider kein Experte. Sich nicht rauszuhalten, aber dennoch dem Sog zu widerstehen, den die “eigene Seite” hat, sobald man sie gewählt hat. Der Sog, zu verdrängen, zu verleugnen und zu rationalisieren, dass da Menschenkinder sterben. Man kann abwägen, ob es notwendig ist, dass da Menschenkinder sterben. Aber das bedeutet nicht, dass es egal wäre. Nur, wenn es einem nicht egal ist, kann man sich darauf berufen, zu den Guten zu gehören.
Verdrängung hier und dort
Selbst wenn es keine Hungersnot nach passender Definition gibt, selbst wenn Berichte übertrieben oder gefaked sein sollten, muss man doch nicht eine Minute darüber diskutieren, ob die Menschen im Gazastreifen in unendlichem Elend leben. Selbst wenn die Zahlen über die Toten unplausibel sind, muss man doch nicht eine Minute darüber diskutieren, dass die Bomben Menschen treffen, die es eigentlich nicht treffen sollte. Auch wenn es kein “Genozid” ist, ist es doch nicht unproblematisch, wie brutal vorgegangen wird. Das heißt nicht, dass möglichst präzise Informationen unwichtig wären, im Gegenteil. Aber den Zweifel an bestimmten Propagandanachrichten in Zynismus zu wenden und so zu tun als wäre jede Klage der Palästinenser lächerlich, das ist menschenverachtend. Eine obdachlose Familie in einer Warteschlange eines Verteilzentrums kann nichts dafür, dass sie noch kein sichtbares Hungerödem hat und auch nichts dafür, das Bilder von großäugigen Palästinenserkindern mit ihren Hundewelpen und sechs Fingern kursieren.
Ich las einen Kommentar unter einem Foto, der ungefähr so ging: “So abgemagert sehen die aber nicht aus. Da haben sich die Komparsen wohl noch mal für den Nachtisch angestellt.” Wer so spricht, hat sein Mitgefühl erfolgreich abgetötet.
Die Verdrängungsleistung auf der palästinasolidarischen Seite ist noch eindrucksvoller. Denn die Hamas zu Freiheitskämpfern zu idealisieren und sich als linker, queerer, progressiver Mensch mit den Insignien der Terroristen zu schmücken, erfordert ja mehr als, die Opfer auf der israelischen Seite zu ignorieren. Also Menschen, die den Kufiya tragenden Studenten in Sozialisation, Lebensstil und Haltung eigentlich viel näher stehen als die palästinensische Bevölkerung. Es erfordert ja darüber hinaus, auch die Opfer der Hamas in deren eigener Bevölkerung auszublenden: die als Schutzschild dienenden Familien, die zu Soldaten verführten Jugendlichen, die unterdrückten Frauen und Mädchen. Egal, wie falsch oder überzogen man das Vorgehen der israelischen Regierung oder des Militärs finden mag – diese absurde Hinwendung zu den unzweifelhaften Bösewichten erster Ordnung in der ganzen komplexen Situation lässt sich kaum anders als mit Antisemitismus erklären. Mag sein, dass das Argument überstrapaziert wird. Wie immer und überall wird es Leute geben, die unlauter und vorschnell mit so einem Vorwurf um sich werfen. Aber wenn Linken trotz des 7. Oktober, trotz hamas-seitiger Holocaustverehrung, trotz judenfeindlicher Graffiti an deutschen Hauswänden, kein antifaschistischer Impuls hochkommt, dann lässt sich das nicht alleine mit überbordendem Mitleid mit Kriegsopfern erklären, dann muss sich ein tiefersitzendes Ressentiment Bahn brechen, das vielleicht lange, als Antisemiten noch Springerstiefel statt Kufiyas trugen, unterdrückt wurde. Wer das sadistische Video gesehen hat, auf dem der völlig abgemagerte Evyatar David gezwungen wird, sein eigenes Grab auszuheben und dennoch auch nur den Hauch einer Unschärfe zulässt, ob seine Solidarität „den Palästinensern“ oder diesen Palästinensern gilt, der verwirkt sein Recht, über Menschenwürde zu debattieren.
Wie findet man seinen Weg?
Wie findet man nun also seinen Weg, zwischen so viel Hass und Lüge und Entmenschlichung? Wie kann man den Versuchen entgehen, von falschen Freunden verführt zu werden, die einen zu sich in ihren Zynismus hinabziehen wollen, wo man endlich frei von Widersprüchen wäre? Wie sich vor den Gegnern schützen, die Bekenntnisse aus einem herauslocken wollen, die man gar nicht zu machen bereit ist. Weil man vielleicht nur A meint und deswegen nicht gezwungen werden will, auch B zu sagen?
Man kann ja sowieso nichts ändern. Auch das gehört zur Verdrängung, dass man darauf baut, sich frei von Schuld zu machen, wenn man nur auf der Seite des Guten steht und wenn man nur die richtige Lösung fordert. Wer sich einredet, die Antwort zu kennen und in die Welt zu schreien, der lebt mit der beruhigenden Gewissheit, es ja versucht zu haben. Nur haben die anderen leider nicht zugehört. Wenn es Krieg gibt, ist es sehr entlastend, jemanden aufzufordern, damit aufzuhören. Aber ehrlich: Selbst wenn man so schlau wäre, die Lösung des Nahostkonfliktes zu kennen, würde man ihn nicht lösen, indem man allen mitteilt, wie es zu machen ist. Anzuerkennen, dass man keinen Einfluss auf die Weltlage hat, fühlt sich falsch an, denn man scheint dann nicht mehr alles in seiner Macht stehende zu tun, um das unerträgliche Elend zu verbessern. Aber umgekehrt, sich einzureden, dass man Macht hätte – weil eben einfach nicht sein kann, was nicht sein darf – kann einen nur tiefer in die Spirale ziehen. Es ist aussichtslos, Kraft seines überlegenen Geistes, durch immer mehr Wissen, immer mehr Diskussion, immer mehr Herausforderung seiner Gegner im Internet, durch schiere übermenschlich richtige Meinung, die Welt zu verbessern.
Was wir leisten können, zuvorderst fürs eigene Seelenheil, aber vielleicht in der Folge auch als Vorbild, ist die Widersprüche in uns auszuhalten. Wenigstens das sind wir den Opfern schuldig: Während sie echte Qualen leiden, könnten wir wenigstens den Anstand haben, uns ihre Situation nicht so zurecht zu lügen, wie sie für uns am bequemsten ist. Das heißt, die Zeit und die Kraft zu investieren, dem Sog der Verdrängung Widerstand zu leisten. Auszuhalten, dass es mehrere Wahrheiten gibt, die parallel existieren. Das ist das Gegenteil von einer entspannten agnostischen Sicht, bei der man sowieso nichts glaubt und immer nur auf die Relativität aller Dinge verweist. Das heißt nicht, jeder hat recht oder “Wahrheit ist subjektiv”. Wahrheit ist nicht subjektiv und genau deswegen schert sie sich nicht darum, ob Teile von ihr uns nicht in den Kram passen. Wenn man dies akzeptiert, wird es auch leichter, sich für eine Seite zu entscheiden, und zwar nicht global, sondern jedes mal aufs Neue. Denn feige ist sowohl, zuerst eine Seite zu wählen und fortan jede Information danach zu beurteilen, ob sie “meiner” Seite passt, als auch umgekehrt, immer nur vage zu bleiben, selbst da, wo man für etwas einstehen müsste.
Was ist wahr?
Wahr ist in all dem zuvorderst, dass die Hamas eine der kristallinsten Erscheinungen des Bösen ist, die derzeit über das Antlitz der Erde wandeln. Im Gegensatz zu anderen eiskalten Killern wie Putin oder den mexikanischen Drogenkartellen ist ihnen das Töten nicht nur Mittel zum Zweck, sondern sogar heiliger, religiöser Zweck selbst. Zusammen mit geistigen Verwandten wie Boko Haram oder den Taliban stehen sie gegen alles Freiheitliche, Fortschrittliche, Menschenfreundliche, das jeder, der dies liest, verteidigen müsste.
Es wäre töricht, zu glauben, man könnte das Verhalten dieser Leute mit herkömmlichen, weltlichen Motiven erklären. Töricht, darauf zu bauen, dass sie Verhandlungen nach unserer westlichen Denkart führen wollen und sich von Argumenten überzeugen lassen, die uns überzeugen würden. Es wäre auch falsch, sich die Bevölkerung von Gaza als völlig unabhängig von dieser Ideologie vorzustellen, als reine, passive Masse von Unbeteiligten. Die Hamas rekrutiert ihre Killer aus dieser Bevölkerung. Und natürlich trägt umgekehrt das Elend, dass diese Menschen ertragen, dazu bei, dass es Nachschub an Mördern gibt.
Diese Tatsachen bergen eine große Gefahr. Nämlich die Hamas und gleich mit ihr die ganze palästinensische Bevölkerung zu entmenschlichen. Je fremder man sie sich vorstellt, desto leichter wird es, über ihr Menschsein hinwegzusehen und die Opfer unter ihnen mit einem Schulterzucken abzutun. Denn was für eine unglaubliche innere Spannung löst es aus, wenn man sagt: “Ja, auch jeder einzelne Hamas-Terrorist hat eine Menschenwürde und erst recht jeder Zivilist. Und dennoch halte ich die Gegenwehr für nötig.”
Wenn man an eine Menschenwürde glaubt, so schließt das auch Notwehr ein und diese Notwehr kann die Dimension eines Krieges haben. Aber Menschenwürde bedeutet, dass jeder einzelne Mensch, jedes einzelne Opfer, gleich viel Wert ist. Selbst ein Täter. Selbst ein verlumpter “Kollateralschaden” im Stockwerk unter dem Täter, dessen Namen nie jemand erfährt. Derjenige, der die Gegenwehr anordnet oder durchführt, aber auch schon derjenige, der sie befürwortet, wäre moralisch verpflichtet, bei jedem dieser Toten gleichermaßen zu bedauern, dass es keine sanftere Möglichkeit gab, sich zu verteidigen.
Die Täter verdienen nicht zu viel Aufmerksamkeit. Wer sich mehr mit den Rechten der Täter beschäftigt als mit denen der Opfer, muss sich ein sehr verdrehtes Weltbild zurechtlegen. Aber ab und zu sollte man sich die Zeit nehmen, sich auch dies klar zu machen: Jeder der Mörder, jeder dieser Unmenschen, der Babys getötet hat, Frauen vergewaltigt und ihre Körper herumgereicht hat, jeder von denen war selbst mal ein Kind. Jeder hat trotz allem eine Familie, die ihn liebt. Ich weiß, dass es Widerspruch auslöst, wenn ich das schreibe. Ich selbst spüre in diesem Moment diesen Widerwillen. Es klingt wie eine Verteidigung. Es klingt wie eine Aufforderung, diese Menschen zu verschonen. Aber habe ich diese Aufforderung ausgesprochen? Im Gegenteil. Da es nicht möglich ist, diese Menschen zu verhaften, einem Gerichtsverfahren zu unterziehen und zum Schutze der Menschheit dauerhaft einzusperren, ist es notwendig sie zu töten. Die Terroristen müssen ausgeschaltet werden, weil sie sonst die nächste junge Frau foltern und abschlachten werden. Den nächsten jungen Mann vor laufender Kamera verhungern lassen. Es ist fast unmöglich, diese beiden Aspekte gleichzeitig zu denken. Es ist wie ein Vexierbild, das jeweils entweder so oder so aussieht. Aber beides ist wahr. Man muss sie töten, aber man müsste auch um sie trauern. Und jeder, der diesen Text liest, egal auf welcher Seite des Konfliktes er sich verortet, sollte sich fragen, ob seine “Argumente” nicht dazu dienen, diesen kaum aushaltbaren Widerspruch erträglich zu machen.
Die Hamas will diesen Krieg
Die Hamas hat gezielt einen Krieg heraufbeschworen und sie hat es gezielt so eingerichtet, dass Israel diesen Krieg nicht ohne hohe zivile Opferzahlen führen kann. Es gibt gute Gründe, zu befürworten, dass Israel sich gewaltsam zur Wehr setzt. Aber: Bei jeder einzelnen Bombe, die notwendigerweise abgeschossen wird, wäre man verpflichtet sich zu fragen, ob diese jetzt vielleicht die letzte gewesen ist, die absolut unabdingbar war. Bei jedem Toten müsste man fragen: War dieser unvermeidlich? Und wenn ja: Was ist mit dem nächsten? Das ist kaum zu leisten. Das Bedürfnis, sich eine allgemeine Absolution zu geben und sich davor zu bewahren, permanent diesen Widerspruch in sich zu spüren, ist groß und es führt zur beschriebenen Verdrängung.
Das ist aber auf der anderen Seite kaum anders. Denn wer sich die Palästinenser ausschließlich als Oper von Menschenrechtsverletzungen imaginiert, stößt ebenfalls bald auf unlösbare Widersprüche. Eine schön geordnete Welt, in der die Mächtigen Krieg führen und ihre Opfer unschuldig sind, in der es keinen Krieg gäbe, wenn “der Westen” ihn nicht führen würde, eine solche Welt lässt sich nur mittels Verdrängung herbeifantasieren. Wenn die Lösung schon feststeht – nämlich, dass es ohne Gewalt möglich sein muss – dann bleibt nur übrig, die Vorstellung der Akteure an diese Lösung anzupassen. Dann werden die Palästinenser zu einer namenlosen Opfermasse, denen man keine eigene Agenda, keine Teilschuld, keine Verantwortung zuschreibt. Das geht soweit, dass man sogar deren Gewalt als von Israel provozierten Widerstand rechtfertigt; die Forderung nach einer gewaltfreien Lösung, die ja eigentlich den Ausgangspunkt bildet, sogar für die gewählte Gruppe aussetzt. Da sie ja passive Wesen sind, handeln sie nur in Reaktion auf die Täter. Die Juden als geheimnisvolle Macht, die das Übel auslöst: Man muss sich schon anstrengen, um da keinen Antisemitismus zu finden. Diese Sicht klingt vordergründig vielleicht zunächst menschenfreundlicher, denn sie behauptet ja, für den Frieden zu sein und sich vor allem um die Opfer zu kümmern. Aber sie spricht einer kompletten Seite im Konflikt die Mündigkeit ab.
Eine weitere Wahrheit, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt, ist Folgende: Es ist nicht die vordringlichste Aufgabe der israelischen Regierung, den Nahostkonflikt zu lösen. Wir hier, in der der Sicherheit, gehen automatisch mit dieser Fragestellung an den Krieg heran. Ist dieses Vorgehen geeignet, den Konflikt endgültig beizulegen? Aber die Regierung muss zuallererst ihre Bevölkerung schützen. In dem Moment wo ein Angriff erfolgt, muss sie handeln. Das Ziel der Regierung muss sein: 1. die Geiseln zu befreien und 2. einen erneuten Angriff dieser Art unmöglich zu machen. Das ist der ureigenste Zweck eines Staates: seinen Bürgern ein Leben zu ermöglichen. Wenn eine grundlegende Beilegung des Konfliktes derzeit nicht realistisch ist, muss Israel dennoch seine Bürger schützen. Und dass die Schutzmaßnahmen verhältnismäßig sein müssen, bedeutet nicht im Umkehrschluss, dass man den Schutz gegebenenfalls halt sein lässt.
Verhältnismäßigkeit
Dies ist keine juristische Betrachtung, sondern eine allgemeine: Verhältnismäßigkeit bedeutet, dass die eingesetzten Mittel im Verhältnis zum Ziel stehen müssen. Wenn ich im Rollstuhl sitze und mir jemand eine Nuss klauen will und meine einzige Möglichkeit, das zu verhindern, wäre von meinem Revolver Gebrauch zu machen, so stünde das drastische Mittel in keinem angemessenen Verhältnis zum Ziel. Wenn umgekehrt der Täter im Rollstuhl sitzt und mich abstechen will und ich müsste einfach nur einen Schritt rückwärts machen, um dem Tod zu entgehen, dann wäre der Revolver ebenfalls unangemessen, weil es ein milderes Mittel gibt. Im ersten Fall gibt es kein milderes Mittel, aber das Ziel ist, sagen wir mal, optional.
Was im nahen Osten durcheinander gerät, sind diese beiden Aspekte der Verhältnismäßigkeit. Denn es gibt ganz sicher begründete Zweifel daran, ob Israel wirklich in jedem Fall das mildeste Mittel anwendet. Denn, da sind wir wieder oben, aus der einmal gewonnenen Haltung, dass es einen legitimen Krieg gegen fürchterliche Mörder führt, folgt eben keine Absolution für jedwedes Vorgehen. Sondern die Menschenwürde erfordert, dass bei jedem Toten – sogar unter den Tätern selbst, erst recht aber unter den Zivilisten – in gleichem Maße geprüft wird, ob auch dieser ein unausweichliches Opfer einer Notwehrmaßnahme ist.
Aber was auf Seiten der Palästinafreunde und Terrorverharmloser zu kurz kommt, ist zunächst überhaupt anzuerkennen, dass der Zweck legitim und irgendein Ausmaß von Gewalt unausweichlich ist. Bei ihnen war von Anfang an klar, dass Israel jetzt “Rache üben”, “den Konflikt anheizen” würde. Rache üben wäre es aber tatsächlich viel mehr dann, wenn man eine begrenzte Anzahl von Menschen als “Vergeltungsschlag” umbringt und dann zur Tagesordnung übergeht. Dann war deren Tod wirklich nur symbolisch. Sich nicht zu wehren ist keine Option. Dann geht es weiter wie am 7. Oktober. Dann geht es weiter wie mit Evyatar David.
Auch die Hamas weiß, dass Netanyahu unglaubliche Schwierigkeiten hätte, den Krieg fortzusetzen, wenn die Geiseln frei wären und es wenigstens ein Lippenbekenntnis zum Frieden von ihnen gäbe. Sie wollen diesen Krieg. Daraus folgt nicht, dass es zwangsläufig richtig ist, ihn fortzusetzen. Aber daraus folgt, dass Israel das Recht hat, ihn fortzusetzen, wenn es absolut unabdingbar ist, um die Geiseln zu befreien und die Bürger vor weiteren Angriffen zu schützen. Israel ist nicht verpflichtet, Menschen dem Terror preiszugeben, um dem höheren Ziel von Frieden zu dienen oder um das Menschenbild von westlichen Intellektuellen zu befriedigen. Es ist allerdings verpflichtet, vor jeder einzelnen Bombe zu fragen, ob dies die letzte Unabdingbare war.
Und wir? Unbeteiligt und in der Ferne? Wir können wenigstens davon absehen, die Opfer zu verhöhnen, egal auf welcher Seite wir stehen.