
Ikkimel (Credit: Janina Wagner)
Keta und Krawall – Ikkimel als „Schlechtes Vorbild“ der Gen Z
Wenn man die deutsche Rapszene aktiv verfolgt, kommt man nicht daran vorbei: Es gibt immer mehr weibliche Artists, die offen (und offensichtlich überspitzt) über Sex rappen. Auch der Konsum chemischer Drogen wird von vielen dieser Künstlerinnen thematisiert, meist, ohne dessen negative Begleiterscheinungen zu erwähnen.
Beides sind keineswegs neuartige Phänomene in der hiesigen Popkultur, und dennoch wird darüber kontrovers diskutiert. Viele dieser Künstlerinnen wie Shoki oder Ikkimel sind vom hedonistischen Lifestyle der Berliner Techno-Szene beeinflusst.
Shoki ist nicht nur Rapperin, sondern legt als DJ auch selbst Techno auf. Ihr Gesicht versteckt sie bei öffentlichen Auftritten immer hinter einer Maske. Aus gutem Grund, denn das erlaubt ihr maximale künstlerische Freiheit ohne bei allem, was sie in ihrer Rolle so tut, die Konsequenzen für ihr Privatleben bedenken zu müssen. So konnte sie zusammen mit ihrem Partner MC Kneipenkrieger, der ebenso wie sie Teil der Crew „Tiefbasskommando“ ist, ein Sextape drehen und als Musikvideo zum Track „Dirty Hobby“ auf einer einschlägigen Plattform veröffentlichen.
Doch während Shoki noch zum Untergrund gezählt werden kann, ist Ikkimel mittlerweile im Mainstream angekommen und steht dadurch auch besonders im Kreuzfeuer der Kritik. Das liegt zum Teil an der häufigen Thematisierung von Drogenkonsum in ihren Texten. So ist ihr Gesicht auf dem Thumbnail eines Videos der Youtuberin Desy mit dem Titel Keta, Koks, Kaputt: Wenn Absturz zum Lifestyle wird zu sehen.
Eine andere Youtuberin namens Matilda fragt: Wie feministisch ist Ikkimel? – und beantwortet diese Frage in ihrem Video durchaus differenziert. Ihr Fazit lässt sich sinngemäß so zusammenfassen: Ikkimel sei zwar aus ihrer Sicht keine Feministin, jedoch challenge sie mit ihren Texten durchaus gesellschaftliche Rollenerwartungen, die Frauen auch heute noch aufgezwängt würden. Um diesen Erwartungen hinsichtlich weiblicher Sexualität zu entsprechen, dürften Frauen weder zu prüde noch zu promiskuitiv sein.
Dass diese Analyse zutrifft, sieht man an den zahlreichen kritischen Reaktionen, die Ikkimel im Netz hervorruft. Viele empören sich zum Beispiel darüber, dass Männer nicht nur in Textzeilen, sondern auch bei Konzerten von Ikkimel eine unterwürfige Rolle einnehmen. Sie hat nämlich mehrfach männliche Fans in Käfige gesperrt.
Doch es gibt auch Kritik von Feministinnen an Ikkimel: Die Influencerin Marie Joan stuft beispielsweise die Textzeile „Gibt’s den Pimmel auch in groß?“ als Bodyshaming ein.
Der Rapper Fler wiederum meint, dass Ikkimel „hässlich, frech und untalentiert“ sei und drohte ihr gar mit einer „Schelle“, sollte er sie auf der Straße sehen. Mal abgesehen davon, dass Gewaltandrohungen gegen Frauen, egal wie ernst man diese in dem Fall nehmen muss, natürlich niemals gerechtfertigt werden können, bleibt der konkrete Grund für Flers Hass auf Ikkimel unklar. Dieser hat jedoch nachgelegt und dabei kritisiert, dass ihre ganze Attitude „nicht Rap“ sei.
Auf dem Kanal „Gio unzensiert“, der Teil von Julian Reichelts rechtspopulistischer Medienplattform „Nius“ ist, wird die Berichterstattung von ARD und ZDF über Ikkimel für das in rechten Kreisen übliche ÖRR-Bashing genutzt („F*tzenpower auf GEZ-Kosten!“). Hier wird unter anderem Respektlosigkeit gegenüber der Kirche kritisiert.
Es bleibt also festzuhalten, dass Ikkimel aus ganz unterschiedlichen Gründen von ganz verschiedenen Lagern kritisiert wird – und doch ist sie erfolgreich mit ihrer Musik, hat etwa 2,5 Mio. monatliche Spotify-Hörer. Ikkimel hat nämlich nicht nur viele Hater, sondern auch eine große Fanbase, die vor allem aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen besteht. Das wiederum wirft die Frage auf, ob sie denn als Vorbild taugt. Sie selbst antwortet auf diese Frage, dass sie sich einerseits als Vorbild betrachte, es andererseits aber auch gar nicht sein müsse. Auch das ist eine Debatte, die es schon zu Zeiten von „Aggro Berlin“ gab und von Sido und Bushido mit Songs wie Schlechtes Vorbild oder Eure Kinder aufgegriffen wurde.
Rapperinnen wie Ikkimel, Shoki und Co. machen im Prinzip überhaupt nichts Neues, wenn sie in ihren Texten ein übertriebenes Bild ihres Sexuallebens zeichnen. Das hat Kool Savas mit dem Track „LMS“ schon 1999 gemacht. Frauenarzt und King Orgasmus One haben mit ihrer Musik den Begriff „Pornorap“ geprägt. Dass sich so etwas im Jahr 2025 überhaupt noch zur Provokation eignet, liegt einzig und allein daran, dass es nun Frauen sind, die solche Texte schreiben – und auch das ist streng genommen nicht wirklich neu.
2008 sorgte Lady Bitch Ray für Aufsehen, als sie bei „Schmidt & Pocher“ eine Dose, in der sich laut ihrer Aussage ihr Vaginalsekret befand, als Gastgeschenk mitbrachte. Das ist mittlerweile 17 Jahre her, und doch unterscheidet sich die Resonanz auf Ikkimel und Co. nur in einer Hinsicht von der Resonanz auf Lady Bitch Ray: Dass „Fotzenrap“, wobei es sich um eine Selbstbezeichnung handelt, inzwischen ein eigenes Subgenre darstellt, mit dem man kommerziell erfolgreich sein kann.
Als Vorreiterinnen müssen auch Juju und Nura, früher als Band unter dem Namen „SXTN“ bekannt, erwähnt werden. Sie waren die Ersten, die das Wort „Fotze“ reclaimen wollten, das Ikkimel als Titel für ihr Debütalbum verwendet hat. Während Harald Schmidt vor einigen Jahren noch das Gesicht verzog, als Carolin Kebekus im Fernsehen auf vulgäre Weise das Finale eines typischen Pornos beschrieb, werden Ikkimels Sprachgebrauch und ihre Bühneninszenierung mittlerweile im Öffentlich-Rechtlichen diskutiert.
Doch egal, ob man das nun als Verrohung der Sitten, als kalkulierte Provokation zum Zweck der eigenen Vermarktung oder als feministisches Empowerment ansieht, so viel ist sicher: Frauen sind mittlerweile auch als Künstlerinnen und nicht mehr nur als hübsches Beiwerk in Musikvideos fester Bestandteil der Rapszene und das ist gut so.

