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Digitalkompetenz-Studie: Armut, Geschlecht, und nu? (2/2)

Im ersten Teil ging es um mit die Ergebnisse der ICILS-Studie 2023. Diese zeigte: Mädchen schneiden in der internationalen Vergleichsstudie im Bereich der Computer- und Informationskompetenzen (CIK) meist etwas besser ab als Jungen. Bei den computerbasierten Denkfähigkeiten (CD) hingegen gab es keine systematisch bedeutsamen Unterschiede.

Doch wie belastbar sind diese Ergebnisse? Was sagen andere Studien – und was bedeutet das für Bildungsdebatten und politische Entscheidungen?
In diesem zweiten Teil geht der Blick dahin, wie die ICILS-Ergebnisse in die breitere Forschungslandschaft eingeordnet werden, welche weiteren Studien es zu Geschlechterunterschieden im Umgang mit digitalen Technologien gibt – und warum allein der Blick auf das Geschlecht oft zu kurz greift. Von unserer Gastautorin Rowena Herlich.

Eine einzige Studie hat an sich natürlich einen Wert. Das möchte ich gar nicht abstreiten. Man gewinnt Erkenntnisse für eine gewisse Stichprobe, zu einem gewissen Zeitraum und unter gewissen Bedingungen. Daher ist es wichtig, die Erkenntnisse aus einer einzelnen Studie in den aktuellen Forschungsstand einzubetten, was Autor:innen jeder guten Studie machen. Auch in der ICILS 2023 wurde diese Einordnung in den Forschungsstand getätigt (ICILS 2023, S. 44-45). Die Forschungslandschaft zeichnet zu dem Thema Geschlecht ein unklares Bild:

In einigen Studien waren die Mädchen den Jungen überlegen (z. B. ICILS 2013 und 2018)

In anderen die Jungen/Männern den Mädchen/Frauen (z. B. PISA 2012 und PIACC 2013).

Eine Metaanalyse von 2019 hat sich 23 Studien angeschaut und nur geringe Unterschiede in den Kompetenzen zugunsten der Mädchen und junger Frauen gefunden.

Die Unterschiede sind in allen Studien auch im Ländervergleich nicht einheitlich.

Ein nächster möglicher Schritt wäre es, tiefer in die Daten zu schauen.

Was zumindest die internationalen Kompetenzerhebungen (PISA, PIACC und ICILS) zeigen, ist, dass Frauen und Mädchen nach aktuellem Stand besser in den CIK abschneiden. Jungen schneiden hingegen besser in CD ab (ICILS 2023, S. 44-48).
Aber um es noch einmal zu erwähnen: die Unterschiede sind zwar vorhanden, aber in den meisten Ländern nicht besonders groß und auch nicht in jedem Land oder zu jedem Zeitpunkt gleich.

Was kommt nach dem Vergleich?
Natürlich ist es in einem ersten Schritt wichtig, Unterschiede in den Kompetenzen sichtbar zu machen. Der zweite, spannendere, Schritt ist es, sich die Gründe für das eine oder andere Ergebnis anzuschauen.

In der Bildungsforschung schaut man sich dazu zum Beispiel die Systemebene, die jeweiligen Lehrpläne, die Unterrichtsgestaltung oder auch die angewandten Fördermaßnahmen an. Dabei schaut man sich an, welche Maßnahmen die Politik, die Schule oder die einzelne Lehrkraft gesetzt haben, die zum einen oder anderen Ergebnis führten.

Es ist spannend und auch in einigen Fällen sinnvoll, sich die Unterschiede beim Geschlecht anzuschauen. Man darf diese Ergebnisse aber nicht überinterpretieren, da auch andere Faktoren für Leistungsunterschiede verantwortlich sein könnten. Der größte Faktor, welcher in allen Studien, egal ob ICILS, TIMMS, PISA oder PIACC genannt wird, ist weniger das Geschlecht, sondern vielmehr der sozioökonomische Status. Dies wird auch in vielen anderen Studien in der Bildungsforschung bestätigt. Kinder und Jugendliche, die einen sozioökonomisch hohen Status aufweisen erreichen häufig auch die höheren Kompetenzebenen und umgekehrt.

Meiner Meinung nach, kann man sich auf politischer Ebene zwar immer auf Geschlecht, Migration und andere Faktoren beziehen. Der Hauptfaktor bleibt aber die Armut in den Familien und damit auch die Kinderarmut. Es kommt auf die Lebensumstände und Förderung jedes einzelnen Kindes an. Fragt euch mal ganz ehrlich, ob ihr unausgeschlafen, hungrig oder unter hohem Stress eine gute Leistung erbringen könntet?

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