
Diskriminierung und Bildung – Teil 1
Anspruch und Wirklichkeit
Bildung wird oft als zentrales Versprechen moderner Gesellschaften verstanden: Wer sich anstrengt, soll unabhängig von Herkunft oder sozialem Status etwas erreichen können. Bildung soll Teilhabe ermöglichen, soziale Aufstiege erleichtern und Chancengleichheit schaffen. In diesem Idealbild wird Bildung zur „Gleichmacherin“ – zum Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben. Dieses Ideal findet sich auch in den rechtlichen Grundlagen wieder: Das Grundgesetz schützt die Gleichberechtigung (Art. 3), das internationale Menschenrecht auf Bildung (Art. 29 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) ist anerkannt.
In Nordrhein-Westfalen etwa betont das Schulgesetz, dass Inklusion kein Sonderfall, sondern der Regelfall sein soll. Alle Kinder – egal ob mit oder ohne Behinderung, ob mit deutscher oder internationaler Familiengeschichte – sollen gemeinsam lernen. Dass sich die schulrechtlichen Vorgaben der BASS (Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschriften) so deutlich auf Inklusion konzentrieren, zeigt: Bildungsgerechtigkeit wird zunehmend als Menschenrecht verstanden.
Die Realität: Bildungserfolg ist oft vererbbar
Doch wie gut wird dieser Anspruch eingelöst? Die Realität in Deutschland zeigt: Noch immer hängen Bildungschancen stark von der sozialen Herkunft ab. Wer aus einem Akademikerhaushalt kommt, hat deutlich bessere Aussichten auf ein Studium als Kinder, deren Eltern keine Hochschule besucht haben. Soziale Mobilität – also die Chance, sich durch Bildung gesellschaftlich nach oben zu bewegen – ist im Vergleich zu anderen Ländern gering. Das Ideal der Chancengleichheit bleibt oft ein Versprechen, das im Alltag nicht eingelöst wird.
Ein kurzer Blick zurück: Woher kommt das Ideal der Bildungsgerechtigkeit?
Lange Zeit war Bildung ein Privileg der wohlhabenden Schichten, der adeligen Eliten und der Klöster. Erst mit der Aufklärung wurden neue Forderungen laut: Philosophen wie Immanuel Kant oder der französische Denker Marquis Nicolas de Condorcet setzten sich für ein staatlich organisiertes Bildungssystem ein, das allen offenstehen sollte. Bildung wurde als Voraussetzung für eigenständiges Denken und gesellschaftliche Teilhabe verstanden. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 wurde dieses Ideal dann verankert – als universelles Recht auf Bildung.
Entrüstung als Motor für Reformen
In der Geschichte der Bundesrepublik waren es oft Schockmomente, die bildungspolitische Veränderungen angestoßen haben. Nach dem „Sputnik-Schock“ 1957, als die Sowjetunion den ersten Satelliten ins All schickte, sahen sich westliche Länder plötzlich unter Druck: Bildung wurde zur nationalen Zukunftsfrage. Der Pädagoge Georg Picht warnte damals vor einer „Bildungskatastrophe“, mit dem bekannten Satz: „der Nobelpreisträger von morgen bestellt gerade den Acker“.
Auch der „PISA-Schock“ 2001, bei dem deutsche Schüler:innen in internationalen Vergleichsstudien laut deutschen Lehrkräften „schlecht“ (d.h. durchschnittlich) abschnitten, sorgte für Aufsehen. Er löste eine breite Debatte über die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems und über Chancengleichheit aus – mit Reformen, die viel bewegen wollten, aber wenig Effekt hatten. Oder um es in den Worten meines damaligen Lehrers zu sagen: „Jedes Jahr wird eine neue pädagogische Sau durchs Dorf getrieben, aber die eierlegende Wollmilchsau war noch nicht darunter.“
Ausblick
Die Erwartungen an Bildung sind hoch: Sie soll gerecht, inklusiv und offen für alle sein. Doch die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit bleibt groß. In Teil 2 dieser Reihe wird es um eine Form der Diskriminierung gehen, die in Schule und Gesellschaft oft übersehen wird – Klassismus.
