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Muslime-Studie – Diskriminiert, verletzt, gefährdet?

Etwa jeder fünfte Muslim in Deutschland verspürt laut einer neuen Studie der Universität Münster Ressentiments – also ein tief sitzendes Gefühl von Zurückweisung, oft aus konkreten oder angenommenen Kränkungserfahrungen. Wer sich immer wieder diskriminiert fühlt, der verliert nicht selten das Vertrauen in die Gesellschaft. Genau das ist ein zentrales Ergebnis eines vierjährigen Forschungsprojekts des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) und der Religionssoziologie. Die Forscherinnen und Forscher wollten wissen: Wann entsteht aus einem Gefühl der Kränkung ein stabiles Ressentiment – und kann das ein Weg in die Radikalisierung sein?

Fast 1.900 Musliminnen und Muslime in Deutschland wurden befragt, ergänzt durch über 160 ausführliche Interviews, vor allem mit Menschen türkischer und arabischer Herkunft. Die Forschenden betonen: Nicht jede Diskriminierungserfahrung führt in die Radikalisierung. Und nicht jedes Ressentiment bedeutet Ablehnung der Gesellschaft. Aber: In Kombination mit anderen Faktoren – etwa religiösem Fundamentalismus oder abgeschotteten Lebenswelten – können solche Gefühle anschlussfähig für radikale Ideologien werden. Vor allem islamistische Gruppen greifen diese Empfindungen gezielt auf und geben ihnen eine Deutung: Du wirst nicht respektiert, weil du Muslim bist – und das wird sich erst ändern, wenn du dich wehrst.

Die Studie empfiehlt, Muslime in Deutschland stärker gesellschaftlich einzubinden. Religionsunterricht, Projekte in sozialen Medien, Moscheegemeinden mit positiver Öffentlichkeitsarbeit – all das könne helfen, Zugehörigkeit zu stärken. Denn wer sich anerkannt fühlt, ist schwerer zu instrumentalisieren. Und doch kann man die Ergebnisse der Forscher auch aus einem anderen Blickwinkel sehen.

Radikalisierung kann auch vor dem Ressentiment kommen – nicht danach. Erst verändert sich das Denken, dann die Wahrnehmung. Menschen, die in ein extremistisches Weltbild abrutschen, beginnen oft erst nach dieser Wendung, ihr Umfeld als feindlich zu erleben. In dem Moment, im dem „die Gesellschaft“ zum Gegner wird, wird jeder kritische Kommentar zum Angriff, jede abweichende – demokratische – Meinung zur Abwertung.

Radikale Ideologien liefern einfache Erklärungen für komplexe Lebenslagen. Wer sich einmal mit dem Gedanken anfreundet, dass „die Deutschen“ oder „der Westen“ grundsätzlich gegen einen sind, sucht gar nicht mehr nach differenzierten Antworten. Stattdessen werden Kränkungsgefühle verstärkt – auch dort, wo vorher keine waren. Die Opferhaltung wird zur Haltung, nicht zur Erfahrung.

In manchen Gruppenmilieus ist das Ressentiment sogar Teil des Gruppencodes: Wer dazugehören will, betont, wie schlecht Muslime hier behandelt werden – unabhängig von der eigenen Realität. Diese kollektive Kränkung stiftet Identität. Und sie macht blind für eigene Anteile oder andere Perspektiven.

Viele Radikalisierungen beginnen nicht mit Wut, sondern mit Sinnsuche: Wo gehöre ich hin? Was zählt? Und mit der Suche nach Selbstwirksamkeit. Erst später wird aus der eigenen Radikalisierung ein „Beweis“, dass die Gesellschaft einen nie wollte. Die Reihenfolge ist also nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Manchmal steht am Anfang die Kränkung. Manchmal die Ideologie. Oft verstärken sie sich gegenseitig.

So einfach ist das alles also nicht. Natürlich sind nicht alle Muslime radikal – so wie im Oblast Ostdeutschland nicht alle die Demokratie ablehnen. Eine Religion pauschal abzuwerten, ist Unsinn. Aber das Gefühl, ausgegrenzt zu sein, kann manchmal auch Ausdruck einer bereits begonnenen Radikalisierung sein. Es bleibt kompliziert.

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