diesdas,  Meinung

Das Gesundheitswesen ist ein Wesen für Gesunde

In die Nähe von Kranken sollte man dieses Wesen allerdings lieber nicht lassen

Ich hatte ein Problem. Ein medizinisches.
Das nur mittels eines größeren chirurgischen Eingriffs behoben werden könne, wie mir von zwei Fachärzt*innen nachdrücklich bestätigt wurde.

Der OP-Termin war zügig angesetzt, die Voruntersuchungen wurden ambulant eine Woche zuvor erledigt.

Die Fachpersonen würden sich ja sicher frühzeitig melden, falls noch etwas anliege.


So dachte ich.

Gemeldet haben sie sich auch, und auch mit etwas dringendem.

Unbedingt bräuchte ich noch ein Antibiotikum, sonst könne die OP nicht durchgeführt werden. Der OP-Termin war auf einen Freitag gelegt worden, der Donnerstag davor ein Feiertag.

Der Antibiotika-Anruf kam am Mittwoch – genauer am Mittwochnachmittag.

Das Antibiotikum müsse dringend am selben Tag eingenommen werden. Am Donnerstag müsse ich zur Kontrolle in die Klinik, dann würde entschieden, ob die OP am Freitag tatsächlich statt finden könne.

Wie viele Menschen in diesem Land arbeite ich, in Vollzeit.

Auch am besagten Mittwoch. Als der Anruf kam, hatte ich noch einige Arbeitsstunden vor mir.

Sozusagen als Ausgleich erschien dafür aber sicher, dass jede normal arbeitende Arztpraxis, die problemlos ein Antibiotikum hätte verschreiben können, bereits geschlossen war. Ein E-Rezept konnte mir die Klinik indes nicht ausstellen.

Das wäre zu einfach gewesen, vermute ich.

In der Klinik selbst hätte ich das Mittel problemlos abholen können.

Allerdings steht die Klinik in einer anderen Stadt. Ich habe kein eigenes Auto.

Und irgendwann abends fahren keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr.

Hin wäre ich noch gekommen, zurück nicht.

Warum die Klinik nicht einfach einen Tag früher angerufen hat? Es ist mir bis heute ein Rätsel.

Mir fiel nichts besseres ein als die 116-117 anzurufen und meine Lage zu schildern. Die Mensch, mit dem ich telefoniert habe, war ausgesprochen verständnisvoll und hilfsbereit. Er hat mir die Adresse einer Notfallpraxis durchgegeben, mir zugesichert, dass es in meinem Fall überhaupt kein Problem sei, dorthin zu fahren und dass sicherlich jeder Arzt Verständnis für meine Situation hätte.

Der freundliche Mensch kannte den diensthabenden Arzt nicht. Mutmaßlich.

Er begrüßte mich eindringlich einem „Wieso erscheinen Sie denn  jetzt erst?“

Dass ich noch arbeiten musste, dass ich die ganze Aktion doch sowieso nur wegen der OP gestartet hatte, dass ich tatsächlich das OK von der 116-117 hatte, dass ich nicht einfach so zu der Klinik fahren konnte, weil ich kein Auto habe, dass ich den Anruf erst nachmittags bekommen hatte – fand er alles nicht relevant.

Ich habe völliges Verständnis für einen überarbeiteten Arzt, der schon viel zu lange Dienst macht und längst im Feierabend hätte sein sollen, wollen, müssen.

Nur fehlte in den Überlegungen des Arztes und der Klinik einfach, dass ich auch ein normaler Mensch mit normalen Verpflichtungen bin.

Dass der Arbeitsdruck überall hoch ist.

Dass wir halt alle – oder zumindest viele von uns – ziemlich herum rudern.

Für die Klinik war ich offensichtlich ein Faktor, den man durch die Gegend schieben kann. Und der Arzt überlegte, ob sich bei der Krankengeschichte, die ich vorgetragen hatte, nicht besser eine ganz andere Fachdisziplin meinen Fall ansehen sollte und ob das alles nicht sowieso von irgendwem, der halt nicht er ist, noch weiterer Abklärung bedürfe.

Auf mein Angebot, doch einfach mit der Klinik zu telefonieren, wollte er allerdings nicht eingehen. Letztlich konnte ich ihn erweichen, mir das Antibiotikum zu verschreiben. 

Als er mir dann den Zettel mit den Adressen der Notfallapotheken reichte, ist mir die Kinnlade wieder herunter gefallen.

Arzt zu mir: „Ja was, erwarten sie jetzt noch, dass wir hier eine Apotheke haben?!“

Tatsächlich fände ich es wirklich sehr nahe liegend, die Notfallapotheke in der Nähe der geöffneten Notarztpraxis zu haben. Auch wenn das naiv klingen mag. Ich finde das so unglaublich nahe liegend, dass ich nicht mal im Ansatz verstehen kann, wie man diese Vorstellung irgendwie dreist finden kann.

Das wäre doch nur sinnvolle Organisation.

Auf dem Weg zur Apotheke radelnd fragte ich mich, wie um alles in der Welt das Menschen bewerkstelligen, die nicht mehr in der Lage sind, einfach irgendwo hin zu radeln? Also Menschen zum Beispiel, die halt dringend eine OP brauchen.

Jemand kränkeres, alleinstehendes ohne Auto kommt im Gesundheitswesen offensichtlich nicht vor. Die sterben wohl gerade einfach aus.

Nächster Tag.

Der OP-Termin war für  8 Uhr angesetzt, erscheinen sollte ich um 7 Uhr, nichts mehr essen 6 h vor der OP, nichts mehr trinken 2 h vor dem Termin.

Auf der Station erfuhr ich, dass der Termin auf 11 Uhr gelegt wurde.

Cheers! dachte ich, griff nach Wasser – bis dann die Schwestern das Zimmer stürmten und mir mitteilten, ich würde doch um 8 Uhr operiert.

Die Physiotherapeutin, die mir für nach der Operation versprochen wurde, damit ich gezeigt bekäme, wie ich mich am besten bewegen würde, bekam ich nicht zu Gesicht. Am Wochenende käme sie nicht, am Montag wurde ich entlassen.

Auch hier war der Ablauf: unberechenbar.

Am Sonntag wurde mir mitgeteilt, ich würde wahrscheinlich noch für das Abschlussgespräch zur Ärztin gerufen. Wahrscheinlich.

Mein Zimmernachbar, dem nichts dergleichen gesagt wurde, wurde dann am Sonntag für besagtes Gespräch bestellt.  Er hatte für Montag noch einige weitere Untersuchungen anberaumt und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Noch mehr wunderte er sich, als er dann zusätzlich zum CT gerufen wurde.

Die zugeteilten Medikamente wurden weder meinem Bettnachbarn noch mir vernünftig erklärt. 

Mir wurde gesagt, ich solle alle nehmen wie eingeteilt, morgens, mittags, abends, nachts. Ein*e andere Pfleger*in meinte, es seien Bedarfsmedikamente bei Schmerzen. Für mich, ohne wirklich größere Tragweite.

Mein Zimmernachbar allerdings hat in seine Medikamentenzuteilung geschaut und war völlig verunsichert. Er nimmt dauerhaft Herzmedikamente und sollte eigentlich auch seine eigenen selbst mitgebrachten weiter einnehmen. Die zugeteilten sahen allerdings genau so aus wie seine eigenen Herztabletten, die er sowieso schon eingenommen hatte.

Er war bei klarem Verstand und hat es bemerkt.

Beim Entlassungsgespräch hatte ich den Arzt nachdrücklich darauf hingewiesen, dass ich keine Ahnung habe, wie man sich eine Thrombosespritze gibt, als er mich darüber aufklärte, dass ich mir die Spritzen auf jeden Fall noch weiter geben müsse.

Eine Thrombosespritze konnte ich bei der Entlassung der Schwester nur abbetteln, weil ich ihr direkt gesagt habe, dass ich auf keinen Fall in der Lage bin, noch bis zur Apotheke zu laufen, um das Rezept einzulösen. Die Gelegenheit, sich noch zeigen zu lassen, wie diese Geräte überhaupt funktionieren, gab es nicht mehr.

Auch wieder, für mich kein wirkliches Problem, ich kann googeln.

Aber was macht jemand, der das gerade nicht kann?

Das alles, einzeln genommen, wäre halt mal ein Versehen gewesen.

Mal ein Arzt, der einen echt schlechten Tag hatte, und hart an der Grenze, seine Macht auszuspielen und mich deshalb einfach irgendwo anders hin zu schicken, vorbei geschrappt ist.

Mal eine Pflegefachperson, die unkonzentriert war.

Nicht wirklich tragisch, Glück gehabt, ist nichts schlimmes passiert.

Aber die Summe finde ich erschreckend.

Als sei da etwas gekippt.

Als seien Menschen mit einem gesundheitlichen Problem irgendwo zwischen der dreihundertsten Überstunde, dem elften verschobenen Urlaub und den neuesten Effizienzvorgaben, dass das doch alles schon auch noch ein bisschen schneller geht, nur mehr ein Störfaktor.

Es geht hier nicht darum,

einer bestimmten Klinik,

einer bestimmten Notarztpraxis,

irgendwelche Vorwürfe zu machen.

Wozu auch?

Das alles passiert so und ähnlich überall.

Nichts an den geschilderten Situationen war in irgend einer Weise speziell.

Es ist nur so, dass das Gesundheitssystem kaputt ist.

Wir benötigen dringend ein System, das kranken Menschen hilft.

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