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Recklinghausen: Falsche Raupe, falscher Alarm

Der Baum und das Gespinst des Anstoßes. (Foto: privat)

Es fing mit einem Foto an. Eine Leserin aus Recklinghausen-Hochlarmark schickte uns ein Bild: feine weiße Gespinste an einem Baum, deutlich sichtbar, flächendeckend. Der erste Gedanke: Eichenprozessionsspinner! Schließlich kennt man die ja, in allen Medien, gefährlich – mit ihrer Wirkung auf Haut, Atemwege und Schlagzeilen. Also: Foto geprüft, Textentwurf geschrieben, Presseanfrage an die Stadt Recklinghausen. Was macht die Stadt, um den Monstern Herr zu werden?

In der Anfrage schrieben wir dann „Seidenspinner“ statt „Eichenprozessionsspinner“. Irgendwas mit Spinner auf jeden Fall. Und vielleicht etwas zu fix geschrieben. Die Antwort aus dem Rathaus kam prompt – und klärte so einiges auf. Anders als gedacht.

Harmloser als gedacht

Die auf dem Foto erkennbaren Gebilde seien mit hoher Wahrscheinlichkeit das Werk von Gespinstmotten – konkret: einer Art aus der Familie Yponomeutidae. Diese Tiere legen ihre Netze zum Schutz vor Fressfeinden an, fressen sich durch Blätter, lassen Bäume optisch entlaubt zurück – biologisch ist das jedoch kaum relevant. Die Pflanzen treiben in aller Regel neu aus. Für Menschen sind die Tiere völlig ungefährlich. Meldepflicht? Gibt es nicht. Selbst unter Kanzler Merz (derzeit) nicht.

Mit Blick auf den falsch benannten Seidenspinner (Bombyx mori) erklärte man, dass dieser in der freien Wildbahn Deutschlands nicht anzutreffen sei. Hüstel. Er werde ausschließlich zur Seidengewinnung gezüchtet. Sollte also tatsächlich jemand eine frei lebende Seidenspinnerraupe in Hochlarmark gesichtet haben, wäre das ungefähr so wahrscheinlich wie ein Pelikan auf dem Rhein-Herne-Kanal. Hoffen wir, dass zumindest dieser Vergleich stimmt.

Wer spinnt hier eigentlich?

Gespinstmotten – der Name sagt es – produzieren feine Netze, die ganze Baumkronen einhüllen können. Das sieht nach Science Fiction aus, ist aber Natur. Vorzugsweise siedeln sie sich auf Weiden, Apfelbäumen, Pappeln oder Pfaffenhütchen an. Der Schaden bleibt gering. Ihr einziges Vergehen: Sie sind unansehnlich. Das reicht in Zeiten sozialer Netzwerke oft schon für einen halben Shitstorm. Und halbe Sachen, wer will die schon…

Die echten Gefährlichen

Eichenprozessionsspinner hingegen sind eine andere Hausnummer. Ihre mikroskopisch kleinen Brennhaare enthalten ein Nesselgift, das bei Hautkontakt zu Reizungen, Ausschlägen oder Atemnot führen kann. Die Tiere leben, wie der Name vermuten lässt, bevorzugt auf Eichen, wurden aber auch schon an Hainbuchen oder Linden gefunden. Ihre Hochsaison beginnt im Juni.

Die Zahl der gemeldeten Fälle sei in den letzten Jahren rückläufig, teilte uns die Stadt mit. 2024 seien in Recklinghausen genau fünf Fälle registriert worden. Das spricht für gute Prävention – oder viel Regen.

Was tun, wenn’s doch brennt?

Falls man auf ein Gespinst stößt und nicht sicher ist, was es ist, empfiehlt die Stadt:

  • Nicht anfassen. Nicht absammeln.
  • Standort prüfen:
    • Öffentlicher Raum: Fund bei der Stadt melden.
    • Privatgelände: Keine Pflicht zur Bekämpfung, aber Möglichkeit zur Beauftragung eines Fachbetriebs.
  • Symptome ernst nehmen: Hautausschläge, Juckreiz oder Atemprobleme sollten ärztlich abgeklärt werden.
  • Im Zweifel: ruhig bleiben. Nicht jede Raupe ist ein Gesundheitsrisiko.

Zwischen Meldepflicht und Medienreflex

Warum wir überhaupt nachgefragt haben? Weil das Bild dramatisch aussah. Weil man gelernt hat, dass der Eichenprozessionsspinner gefährlich sein kann, oder muss, oder ist. Irgend sowas. Und weil man ja irgendwie das Gefühl hat, dass durch den Klimawandel alles möglich ist.

Aber genau deshalb lohnt sich der Blick auf die Fakten: Nicht alles, was kriecht, krabbelt oder fädelt, ist gefährlich.

Manchmal ist es einfach nur Natur.

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