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US-Terroranschlag: ‚Ich habe in Deutschland noch nie erlebt, dass jemand unsere Arbeit feindselig betrachtet‘

Am 17. Mai 2025 zündet ein 25-Jähriger eine Autobombe vor einer Kinderwunschklinik in Palm Springs. Er stirbt, mehrere Menschen werden verletzt. In seinem Manifest: eine nihilistische Weltanschauung, die sich gegen jede Form von Fortpflanzung richtet – und gegen das Leben an sich. Ein Einzelfall. Aber einer, der die Frage aufwirft: Wie sicher ist Reproduktionsmedizin in Zeiten ideologischer Radikalisierung?

Dr. Sonja Wüllner ist Fachärztin für Gynäkologie mit Weiterbildung in gynäkologischer Endokrinologie und Reproduktionsmedizin. Gemeinsam mit ihrem Team betreibt sie die Wunschkinder-Praxis in Münster. Dort hilft sie Menschen, die auf natürlichem Wege nicht schwanger werden können. Ihre Reaktion auf den Anschlag: „Wenn so etwas in Deutschland passiert wäre, hätte es mich tief erschüttert. Aber in den USA? Da rechnet man fast mit allem.“ Was sie tröstet: in Deutschland habe sie noch nie erlebt, dass jemand ihre Arbeit feindselig betrachtet. Nicht einmal strenggläubige Katholiken.

Frau Dr. Wüllner sieht einen der Gründe im deutschen Fortpflanzungsrecht. „Wir dürfen vieles gar nicht: keine Eizellspende, keine Leihmutterschaft, keine Geschlechtswahl. Das mag konservativ wirken – aber es schützt uns auch.“ Die gesetzlichen Grenzen, so ihre Erfahrung, dämpfen Konflikte.

In den USA sei das anders. Dort könnten in manchen Bundesstaaten Embryonen auf Wunsch genetisch getestet, tiefgefroren oder nach Geschlecht ausgewählt werden. In Deutschland dürfe man einen Embryo nicht einmal untersuchen, es sei denn, es liegt eine bekannte Erbkrankheit in der Familie vor. Aber wenn derselbe Embryo später in der Gebärmutter sei, dürfe man sehr wohl Pränataldiagnostik machen – und im Zweifel auch eine Abtreibung. Das sei ethisch schwer vermittelbar.

Die politische Unterstützung für mehr reproduktive Selbstbestimmung sei in Deutschland schwach. Der aktuelle Koalitionsvertrag habe bisher enttäuscht – insbesondere auch homosexuelle Paare und alleinstehende Frauen. Noch immer zahle die gesetzliche Krankenversicherung nur dann anteilig für eine Kinderwunschbehandlung, wenn das Paar heterosexuell und verheiratet sei.

Angesprochen auf die neue Gesundheitsministerin Nina Warken zeigt sich Wüllner zurückhaltend: „Ich weiß nur, dass es nicht mehr Karl Lauterbach ist – und dass das viele in meiner Berufsgruppe beruhigt. Was Frau Warken plant, wissen wir nicht. Vielleicht überrascht sie uns ja.“

(Das vollständige Interview auch in Audio beim Bartocast und im YouTube-Channel BartoKanal.)

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